Kindheit, Schule und die Welt verbessern Teil II

Der Termin zur Einschulung ist gesetzlich festgelegt. Mit spätestens sechs Jahren werden aus Kindern Schüler. Auf jedem Einschulungsfoto ist ein strahlendes Kind mit Zuckertüte abgelichtet. Stolze Eltern, stolze Kinder. Die Erzieher aus dem Kindergarten tauschen sich mit den Lehrkräften aus und so entsteht ein erster Eindruck von der Leistungsfähigkeit des Schülers. Die ersten Wochen ermöglichen eine ausführliche Eingangsdiagnostik, sodass die ersten Ordner gefüllt sind. Die Eltern werden auf dem Elternsprechtag zu ihren Kindern befragt. Der ist erst im Februar? Na ja, die Lehrkräfte sind ja erfahrene Pädagogen, die wissen schon was sie tun.
Zwischen Einschulung und Herbstferien werden die Kinder auf ein Niveau gebracht, damit der Frontalunterricht mit drei Differenzierungsstufen und Extramaterial für die inklusiven Beschulung funktioniert. Alle müssen zuhören, alle bekommen ein individualisiertes Arbeitsblatt, jetzt still arbeiten, jetzt wegräumen und als Hausaufgabe erledigen, jetzt Frühstück herausholen, Zeit ist um, nun gehen alle raus. Schneller! Ich habe nicht ewig Zeit!

Jedes Kind entwickelt sich nach seinem Rhythmus. Entwicklungsunterschiede von vier Jahren sind keine Seltenheit. Eine Beschulung im Gleichschritt ist aus rein pädagogischer Sicht sinnlos. Meine mütterliche Betrachtungsweise lasse ich lieber an dieser Stelle außen vor.

Wenn Kinder eingeschult werden, befinden sie sich meist noch in der ICH-Phase. Der Waldkindergarten würde ihnen die Lernerfahrungen bieten, die sie in dieser Phase nachhaltig verarbeiten können. Sie müssen mit allen Sinnen begreifen und brauchen konkrete Erfahrungen, die sie am besten im freien Spiel bekommen. Sie sind mit sich beschäftigt und sehen sich als den Mittelpunkt der Welt. Kinder in der ICH-Phase brauchen die Natur, das freie Spiel, Freiraum, ausreichend Selbstbestimmung und andere Kinder als Spielgefährten.

Die Schule könnte direkt an den Waldkindergarten anschließen und den Kindern so eine Einschulung ermöglichen, die ihrer Entwicklung entspricht. Die Lernfreude bleibt erhalten und die Kinder können sich ihren Bedürfnissen entsprechend weiterentwickeln. In allen Bundesländern gründen sich Naturschulen und Draußenschulen, die genau an dieser Stelle einen Schwerpunkt setzen. Sie wollen Kindern ermöglichen, sich im Einklang mit der Natur weiterzuentwickeln. Damit sind sie den Konzepten der staatlichen Schulen weit voraus.

Im Anschluss an die ICH-Phase kommen die Kinder in das regelmachende Alter und damit in die DU-Phase. Sie sind nicht mehr nur mit dem eigenen Erleben beschäftigt, sondern nehmen das Gegenüber wahr. Ab jetzt diskutiert das Kind über Vereinbarungen und Gegebenheiten. Das ist aber ungerecht, kennt wohl jede Lehrkraft oder Mutter. Ab jetzt werden in der Familie und auch in der Schule Diskussionen geführt, Abmachungen getroffen und wieder über den Haufen geworfen.

In den demokratischen Schulen werden in Schulversammlungen die Regeln des Schulalltages immer wieder überarbeitet und neu ausgerufen. Konflikte werden dort geklärt und führen zu neuen Vereinbarungen. Jeder Schüler und jeder Lehrer hat das gleiche Stimmrecht und jeder ist angehalten, sich nach seinen Möglichkeiten zu beteiligen und die Schule so mitzugestalten.

Das Netzwerk an demokratischen Schulen ist groß und viele Schulgründungsinitiativen orientieren sich an den bestehenden Konzepten, die den Schwerpunkt Mitbestimmung verfolgen. Die staatlichen Schulen sind nach den Erlassen angehalten, einen Klassenrat und einen Schülerrat zu initiieren. Offen bleibt, ob dieser wirklich zu mehr Mitbestimmung führt. Auch hier können sich die Regelschulen ein Beispiel an den Konzepten der Freien Schulen nehmen.

Mit der Pubertät kommen die Kinder in die WIR-Phase. Sie sind nicht mehr nur mit ihrer Familie und der Lerngruppe beschäftigt, sondern sehen sich als Teil der Gesellschaft. Werte und Normen spielen nun eine Rolle und somit auch das menschliche Miteinander. Wenn Kinder die Gestalter der Zukunft sind, dann sollten sie als Jugendliche die Möglichkeit bekommen, ihren Horizont zu erweitern und emotionale, sowie soziale Kompetenzen ebenso wie kognitive Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Es gibt Schulen, die das Unterrichtsfach Verantwortung anbieten. Der Schüler entscheidet sich für ein Projekt, indem es in erster Linie darum geht, Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht möchte er in einem Pflegeheim für sechs Wochen ein Praktikum machen, oder aber bei der Tafel mitarbeiten oder sechs Wochen lang sein Leben vegan gestalten. Der Schüler wählt den Lernort selbst aus, organisiert sein Projekt und erstellt eine Präsentation. Im Vordergrund steht allerdings die persönliche Erfahrung, wirklich Verantwortung übernommen zu haben und damit ein Stück in die Erwachsenenwelt gerückt zu sein.

Andere Schulen bieten das Unterrichtsfach Herausforderung an. Die Schüler wählen ein Projekt aus, dass nicht vor Ort durchgeführt werden kann und mit einem Budget von 150Euro auskommen muss. Welcher Herausforderung wollen sie sich stellen? Ist es ein Wanderweg von 200km oder eine Radtour? Es gibt viele sportliche Projekte, die Jugendliche, ihre Grenze spüren lassen und Ausdauer und Durchhaltevermögen einfordern. Oft ist eine Begleitung nötig, die aber nur im Notfall eingreifen darf. Im Anschluss präsentieren die Jugendlichen ihr Projekt und berichten stolz, wie sie sich mutig und entschlossen ihrer Herausforderung gestellt haben.

Lehrervorträge im 45min Rhythmus, Stillarbeit und Hausaufgaben können niemals die Lernprozesse hervorbringen, die Projekte wie Verantwortung und Herausforderung mit sich bringen. Emotionales und soziales Lernen ist nur möglich, wenn Schüler tatsächlich sich selbst erleben und wirkliche Erfahrungen sammeln können.

Die staatlichen Schulen setzen dagegen auf Digitalisierung. Smartboards, Tablets und Lernapps bieten aber nur Informationen, niemals echte Erfahrungen. Meiner Meinung nach sollte digitalisiertes Lernen nur im Ausgleich mit Lernen in der Natur stattfinden und erst ab der weiterführenden Schule. Im Vordergrund sollten die Bedürfnisse der Schüler stehen. In der Grundschule brauchen sie konkrete Erfahrungen, schließlich Mitbestimmung und in der Oberschule die Chance, sich in der Erwachsenenwelt einen Platz zu erobern.
Wenn sich die Schule an den Bedürfnissen der Schüler orientieren will, dann muss sie unweigerlich Veränderungen zulassen und das Monopol an Bestimmung abgeben. Der Unterricht passt sich dann nicht mehr den Lerninhalten und der Lehrkraft an, sondern den Bedingungen, die die Schüler vorgeben. Der Schüler ist dann nicht weiter Statist, sondern wird zum Regisseur seines Lebens. In Folge gestalten die Schüler die Schule mit und dürfen kreativ sein.

Die Schule ist nicht mehr ein Ort der Fremdbestimmung und Unterordnung, sondern wird zu einem Lebensort. Dann wird Lernen zu Leben und als ganzheitlicher Lernprozess verstanden.

Teil III folgt am 20.02.23

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